Herbstfarben

Ich liebe den Herbst.Ihr auch?

Donnerstagmorgen Mitte September. Der Wecker klingelt. 6:30 Uhr.

Als ich rausschaue, sehe ich eine graue Wolkendecke. Außerdem nieselt und nebelt es leicht. Die Bäume vor meinem Fenster scheinen wie über Nacht ihr sattes sommerliches Grün verloren zu haben. Mein erster Impuls: Ich will mich am liebsten wieder unter der Bettdecke verkriechen. Wenn da nicht dieses stechende Gefühl an meinem Arm wäre.Drei rote Punkte aufwärts kletternd und immer mehr anschwellend. Was ist das nun wieder? Sticht mich jetzt nicht nur der Hafer, sondern auch noch ein Floh? Oder hat eine Mücke Zuflucht vor dem Wetter draußen in meinem Schlafzimmer gesucht?

Da ich neuerdings allergisch auf fast jedes Insekt reagiere, schlucke ich hektisch bei nicht unbedingt bester Laune den Kaffee runter, verlasse das Haus überstürzt, weg von Floh oder was auch immer das ist. Aber sobald ich aus der Tür trete und mir der erste Windstoß durch die Haare fährt, befällt mich eine seltsame Ruhe. Die Luft ist klar und frisch. Sie riecht nach Regen, Kühle und Blättern. So fühle ich mich auf meinem Weg zum Bahnhof mit jedem Atemzug freier.

Der Wind vertreibt die innere Rastlosigkeit. Er wirbelt durch meine Gedanken, wirft sie durcheinander, dreht und wendet sie, lässt sie fliegen, wie die Blätter zu meinen Füßen. Ich merke, wie gut mir das tut. Mein Kopf fühlt sich leicht und kühl an. Wie ein frisch gemachtes Bett, in das man sich fallen lässt – und in dem einen kein Insekt sticht.

Meine wirren Gedanken und angeschlagenen Gefühle ordnen sich langsam neu. Ich lasse etwas hinter mir – oder eher: der Wind bläst es aus meinem Kopf.

Dieses Gefühl hält den Tag über an, der Herbst begleitet mich auch im Zug Richtung Bremen, mit tiefem Nebel über den vorbeiziehenden Feldern.

So freue ich mich über jeden Windstoß, jeden Nebelschwaden, jedes bunte Blatt, jede Stunde, die es früher dunkel oder später hell wird. Auch wenn ich mich zuweilen darüber ärgere, weil es zu viel und zu oft regnet, auch wenn ich den schroffen Wind an der Küste manchmal nervig finde und auch wenn ich mich hin und wieder darüber beschwere, dass mir zu kalt ist, die Zeit der Heizungswärme naht – ganz insgeheim liebe ich den Herbst. Vor allem hier an der Nordsee.