Geben und Nehmen

Er zählte erneut die letzten 51 Cent, die er besaß.

Er war mir längst aufgefallen, wenn ich meinen Weg vom Bremer Hauptbahnhof quer durch die Stadt zur Straßenbahnhaltestelle an der Obernstraße ging.

Ein freundlicher, nicht ungepflegter Landstreicher. Ich bevorzuge gern dieses alte Wort, statt Obdachloser zu verwenden. Obwohl eine Büchse vor ihm stand, bettelte er nie offensichtlich oder aufdringlich, sondern saß still neben seinen wenigen Habseligkeiten, oft vor sich hin lächelnd. Die an ihm vorbeieilenden Passanten, die ihn wahrnahmen, statt weg- oder durch ihn hindurchzuschauen, grüßte er stets freundlich.

Bisher hatte ich ihm noch nichts gegeben, auch wenn ich für den Weg zur Bahn immer eine Euromünze oder zwei Fünfzig-Cent-Stücke in der Hosentasche bereithalte. Er ist leider nicht der Einzige um Almosen Bittende auf dem Weg. Meistens hatte ich mich für eine der älteren Migrantinnen entschieden.

Heute jedoch sah ich, wie er seine kleinen Münzen in der Hand zählte und traurig „Nur 51 Cent!“ vor sich hinmurmelte. Mir floss das Herz über. Auch wenn ich weiß, dass weder Geld noch Mitleid etwas ändern. Selbst Mitgefühl lehnen viele auf der Straße Lebende entschieden ab. Sei’s drum.

Ich fischte mein Geld aus der Hosentasche und legte es ihm vorsichtig direkt in die Hand.Nun müsste es für einen heißen Tee oder zwei trockene Brötchen erst einmal reichen. Gern hätte ich ihn ins Büro mitgenommen zum Aufwärmen und ihm eine Pizza oder was immer er sich wünschte, bestellt. Doch ich traute es mir nicht.

Sein freundliches Lächeln, in diesem Moment für mich allein bestimmt, ein Geschenk an mich. Es begleitete mich noch lange durch den Tag.